Zeitzeichen
Zeit – Zeichen
Erstaunlich, was die Dekorateure der Waren-Welt sich so alles einfallen lassen, um unsere Blicke zu reizen:
Röhrenmenschen und Zeitungsschädel, Glatzen und Gesten, Rudimente werden zum Regelfall. Man soll wohl seinen Kopf zur Verfügung stellen, wenn nicht gar den ganzen Körper, um diese Bruchstücke aus dem Plastik-Figuren-Kabinett zu komplettieren. Als wäre es nur ein Schritt und man stünde inmitten dieser Kulisse, würde diesen Inszenierungen Leben einhauchen.
Ich denke, wir sind alle schon einmal vor den pseudo-surrealen Verhüllungen und erstaunlichen Kombinationen von Unvereinbarem stehengeblieben und haben uns fasziniert den exhibitionistischen Gesten und den Attributen sado-masochistischer Liebesbeziehungen zugewandt. Wenn auch manche Betrachter ihnen nur einen kurzen Blick zuwerfen, so sind diese öffentlichen Bühnen größter Aufmerksamkeit sicher.
Mich läßt das schmunzeln. Leder auf nackter Haut, das ist doch ,was’. Aber verrenkte Gliederpuppen, an denen die Hosen schlaff herabhängen? Wo bleibt da die Erotik? Wo bleibt da die Befriedigung des Voyeurs? Wenn das neongeformte Symbol der Männlichkeit auf lackierter Brust erstrahlt, wenn das Kunsthaar schick frisiert die fröstelnd sich umfassende Puppe ziert, dann wird mir plötzlich klar, daß so das Leben nicht sein kann.
Uwe Piper visualisiert in seinen Fotografien diese Ambivalenz von Faszination und Ablehnung auf eindringliche Weise. Mit klarer Berechnung setzt er die Inszenierungen der Dekorateure ins Bild. Die Kompositionen bestechen durch das Wechselspiel von ausbalancierter Konstruktion und kühner Dynamik. Die gewollte Kombination und Kontrastierung der Deko-Elemente in seinen Fotogafien, der Lamellen-Wände und gedrechselten Säulen, der Ketten und der Knuddeltiere, mit den Plastikpuppen und Modefigurinen ist entlarvend. Der Betrachter wird dicht an das Geschehen herangeführt. Man schaue nur genau hin. Die Gegensätze knallen nur so aufeinander. Das ist Uwe Pipers Methode. Sein Blickwinkel demaskiert die spröden Gesten als Scharlatanerie. Seine fotografisch-selektive Überhöhung läßt die Welt im Schaufenster als gehaltlose Fassade erkennbar werden.
Erschreckend, wenn ein Mensch in dieser Bildwelt auftaucht, verloren an den Rand gedrängt oder durch das Bild huschend angeschnitten, nicht greifbar, nicht identifizierbar. Was bleibt ist das Trugbild im Schaufenster.
Doch wo bleibt das Leben? Das ,Straßen-Theater’ als dessen Spiegelbild? Kaum zu glauben! Es ist doch nicht die Analyse einer gesellschaftlichen Situation, die zu diesen ,Leitbildern’ führt, deren aufgemotzte Vertreter wir im Schaufenster bestaunen sollen. Im Gegenteil wollen doch die Stylisten der Branche uns durch ihre Verführungskünste zu Verhaltensweisen erziehen, die schließlich ihre Erfüllung im Kauf der vorgeführten Produkte finden soll. Nicht das Leben ist Vorbild für diese Staffagen, sondern die Staffage im Fenster wird zum Vorbild für eine vom potentiellen Käufer anzustrebende Verhaltensnorm.
Es ist dies ein Leben, das seinen Sinn nur in der narzistischen Reproduktion seiner selbst sieht. Zwangsläufig muß es sich als Schein entpuppen und in sinnlicher und geistiger Frustation enden. Frustation eines unerfüllten Traumes, der nach Inhalten sucht, nach Leitbildern… Ein Teufelskreis.
Die Fotografien von Uwe Piper sind mehr als nur das Dokument einer verkleidungssüchtigen, eitel-blinden Gesellschaft. Sie zeugen von einer skeptisch-pessimistischen Grundhaltung des Autors, der am Erkenntniswillen und an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zweifelt. Wer will denn schon die Wahrheit wissen?
Dem Straßen-Theater wurde schon Aufmerksamkeit zuteil. Der fotografierende Schauspieler Heinz Schubert war schon vom Beruf her dafür prädestiniert, in den Fenstern der Boutiquen und Kaufhäusern das Scheinbild der menschlichen Eitelkeit zu sehen. Zuerst mehr beiläufig, dann gezielt entstanden seine Bilder. Sie waren das Ergebnis seiner endlosen Spaziergänge durch die Städte, in denen er selber eine Kunst-Welt produzierte. Seine schließlich zu einer Manie ausgewachsenen Fotografiersucht und eine Buchveröffentlichung erlaubte ihm die Teilnahme an der Dokumenta 6 in Kassel. Heinz Schubert ist sicher der bekanntere, aber Uwe Piper ist in seiner formalen und inhaltlichen Vielschichtigkeit und Konsequenz der bessere Fotograf.
Hartmut Mirbach 1985